von Kai Becker aka „Smokin’ Joe Kowalski“ – Wuppertaler Liedermacher, Gitarrist und Bluesmusiker, 22.03.07
Die Bergische fiktionale Literatur, dem Rezensenten durch ihre Krimis und die Werke einiger sogenannter etablierten Autoren bekannt, hat ein neues Gesicht. Der in Wuppertal geborene, aufgewachsene und in Wuppertal lebende Schriftsteller André Krajewski hat Anfang 2007 seinen ersten Roman „strg+alt+entf“ beim Wuppertaler Oktara Verlag veröffentlicht.
Da der hier schreibende Rezensent ebenfalls in der Schwebebahnstadt wohnt und dazu noch wenige Meter Luftlinie von der Wohnung des Autors entfernt und weiterhin auch wie der Autor die höhere Bildungsinstitution am Grifflenberg über sich ergehen lassen hat, fällt es schwer, einen nüchtern-objektiven Blickwinkel einzuhalten, da die Schauplätze des Romans real sind und u.a. vom Hauptbahnhof über das Briller Viertel, dem Innenleben bekannter Szenekneipen und Cafes sowie dem Verlauf der S-Bahn 8 sofort vor Augen erscheinen.
Die überwiegend fiktive, jedoch sehr stark von autobiografischen Erlebnissen des Autors beeinflusste Handlung, ist facettenreich und hat keinen einheitlichen Handlungsverlauf. Worum geht es? Durchaus um vieles, besonders den Bergischen Alltag, und da noch speziell um Beziehungen. Beziehungen, die auseinanderbrechen, kriseln, ertragen werden aber auch neu entstehen, etliche Handlungsfäden werden aufgereiht und die vielen einzelnen Episoden der Protagonisten überlappen sich oder stehen im Laufe der Ereignisse direkt zueinander; das dieses durchaus gelungen dargestellt wird, ist sicherlich positiv hervorzuheben.
Dieses Beziehungsgeflecht wird eingebettet in den „täglichen Wahnsinn“, der von amtsanmaßenden Beamten, den Methoden der GEZ, Abzocke durch Immobilienhaie über Arbeitslosigkeit und auch der Rubrik „Vermischtes“ in einen bekannten lokalen Anzeigenblatt reicht. Berlin mit seiner „großen Kollision“ (O-Ton) und Politikern, die vieles für sich aber wenig für die Bürger tun, lässt ebenfalls aus dem Jahr 2005, dem Entstehungsjahr des Romans, grüßen.
Kein optimistischer Ausblick? Nein, wahrlich nicht, und so ist der für Computerlaien etwas befremdliche Titel des Romans auch passend, den dieser steht für die Tasteneingabe, wenn das System steckengeblieben ist und man versucht, zu retten, was noch zu retten ist.
So kreuzen sich unter anderem die Wege von den Arbeitslosen Andreas (Hauptprotagonist und alter ego des Autors) und seinem Freund Werner mit denen von Germanistikstudent Sebastian und seiner Freundin Nina, von hintergangener Ehefrau Carina aus gutem Kreis und ihrer besten Freundin Barbara und von Anwältin Melanie. Tragische Opfer dieser Verwicklungen gibt es im Verlauf des Romans ebenfalls. Die Bandbreite der gesellschaftlichen Schichten und die Charakterzeichnung der vielen Handelnden (besonders hervorzuheben die der weiblichen Personen) sind eine große Stärke des Romans, der u.a. mit einer „postmodernen“ Version des Autors von Goethes „Wanderers Nachtlied“ endet.
Erzählt wird in überwiegend nüchternem Ton, der Bergische Alltag und die bundesdeutsche Realität bilden jederzeit die Basis des Romans, der auch streckenweise von der Erzählzeit Präteritum abweicht und Präsens oder Futur I verwendet.
Die schicksalhaften Begegnungen, die auseinanderbrechenden Beziehungen und ebenso die daraus neu entstehenden Verhältnisse sind zwar manchmal für den Rezensenten etwas zu „beziehungslastig“, jedoch durchaus nachvollziehbar, auch wenn dabei einige Begegnungen ein wenig als literarisch gewollte Zufälle erscheinen, Andre Krajewski glaubt jedoch auch abseits seines literarischen Schaffens nicht an solche. Fazit: Wer mit dem ungeschönten Bergischen Raum verbunden ist oder ihn kennen lernen möchte, sollte nicht zögern, sich diesen Roman in den Bücherschrank zu stellen.
Kai Becker aka „Smokin’ Joe Kowalski“